In the Air tonight…

Normalerweise fliegen wir am Flugplatz in Ober-Mörlen nur am Tage. Das liegt unter anderem daran, dass der Platz nicht befeuert und nicht für Nachtflug zugelassen ist. Flugbewegungen dürfen dort nur vom Beginn der Bürgerlichen Dämmerung morgens bis zum Ende der Bürgerlichen Dämmerung am Abend durchgeführt werden. Angenommen, man startet am Abend möglichst spät und bleibt die ganze Nacht in der Luft, sodass man erst in der morgendlichen Dämmerung wieder landet, wäre dann ein “Nachtflug” von Ober-Mörlen nach Ober-Mörlen möglich?

 

Diese Frage haben wir – Joshua Tauer und Philipp Riedl – uns letztes Jahr auch gestellt und angefangen die Randbedingungen festzulegen: in Frage kommen nur die kürzesten Nächte um den 21.06. diese sind kürzer als 7h. Als nächstes brauchten wir ein Flugzeug, das mindestens 7h am Stück fliegen kann, damit wir genug Reserve hätten. Die Vereinsflugzeuge waren damit raus, weil die beiden Motorsegler keine Zulassung zum Nachtflug haben und die DR400 nur max. 4h sichere Flugzeit + Reserve schafft. Daher fiel die Wahl auf Philipp’s Piper Arrow IV (D-EEEL). Mit 272l Sprit sollten wir durch die Nacht kommen – aber nur wenn wir effizient fliegen. Im Gegensatz zu Automotoren, bei denen heutzutage die Elektronik das Gemisch aus Treibstoff und Luft reguliert, ist bei Flugzeugen meistens noch der Pilot gefragt. So auch beim Lycoming IO-360-C1C6 der Arrow, ein Einspritzer mit 200 PS Startleistung, designed in den 60er Jahren. Als Basis diente uns das Flughandbuch, mit dem wir uns für eine Reiseflughöhe von 8.000ft (das entspricht ca. 2.640m) entschieden, da dort sie Arrow am effizientesten fliegt. Um uns wirklich sicher zu sein, dass die Zahlen im Handbuch auch nach 41 Jahren und fast 10.000h Flugstunden immer noch zu dem Flugzeug passen, haben wir ein paar Erprobungsflüge durchgeführt und uns den Treibstoffverbrauch im Vergleich zur Motorleistung / F luggeschwindigkeit erflogen. So lange bis wir eine Einstellung hatten, bei der wir auf einen Verbrauch von etwa 7.5 US Gallonen / Stunde (das entspricht ca. 28l/h) und einer Geschwindigkeit von 105kt (das enstpricht ca. 195km/h) kamen.

 

Dann haben wir angefangen eine passende Strecke zu planen. Wo fliegt man hin, wenn man die ganze Nacht Zeit hat? Die Landschaft ist nachts hauptsächlich rabenschwarz und ohne wesentliche Konturen, deshalb war die Idee, wir fliegen möglichst viele Großstädte ab. Diese sind nachts beleuchtet und würden uns sicher einen tollen Anblick bieten. Außerdem gibt es dort große Flughäfen, die auch nachts beleuchtet und besetzt sind, sodass wir im Zweifelsfall dort landen könnten. Ein weiterer einschränkender Faktor ist wie immer beim Fliegen das Wetter. Für so einen Flug bräuchten wir eine stabile Hochdrucklage über ein großes Gebiet und für die ganze Nacht. Deshalb haben wir uns verschiedene Strecken überlegt, je nach dem ob das “gute Wetter” eher in Nord- oder Süddeutschland ist.

 

Die Strecke, einmal Norddeutschland von oben
Die Strecke, einmal Norddeutschland von oben

 

Endlich kam der Tag bzw. in unserem Fall die Nacht, in der die Vorhersage gut aussah, sogar für unsere Favoritenstrecke über Nordeutschland: Es sollte zuerst ins Ruhrgebiet gehen, weiter über Münster und Bremen nach Hamburg. Der nördlichste Punkt wäre Lübeck, dann nach Südosten über Berlin und schließlich vorbei an Leipzig und Erfurt zurück nach Ober-Mörlen.

 

Die Arrow ist bereit
Die Arrow ist bereit

 

Die Sonne ist schon hinter dem Hausberg verschwunden, bald geht es los
Die Sonne ist schon hinter dem Hausberg verschwunden, bald geht es los

 

Wir wollten nichts dem Zufall überlassen. Also wurden beide Tanks bis zur “Oberkante Unterkiefer” vollgetankt. Da es in Ober-Mörlen leider kein Flugbenzin, sogenanntes AVGAS gibt, mussten wir in Gießen-Lützelinden tanken. Wir haben sogar in Ober-Mörlen noch ca. 10l, die wir auf dem Flug von Gießen verbraucht hatten aus einem Kanister nachgefüllt.

 

Nochmal Nachtanken, wegen der Sicherheit, jeder Liter zählt!
Nochmal Nachtanken, wegen der Sicherheit, jeder Liter zählt!

 

Gegen 22:16 Uhr gut 1/4h vor Ende der Bürgerlichen Dämmerung ging es endlich los. Max. Steigleistung gesetzt und alle Lichter eingeschaltet, nahmen wir Kurs auf das Ruhrgebiet. Während die Landschaft unter uns immer dunkler wurde, fingen die Lichter der Städte an, immer heller zu werden. Hinter Siegen tauchten in der absolut toten Luft unter uns einige Quellwolken auf. In den Lücken zwischen ihnen, konnten wir die Lichter der Städte sehen und die Wolken selbst wurden von dem Restlicht der Sonne von oben beleuchtet. Ein phantastischer Anblick und das war erst der Anfang.

 

Die geplante Wende Barmen (das ist ein Stadtteil von Wuppertal) konnten wir leider nicht erreichen, da dort die Wolken auch auf unserer Höhe zu dicht waren. Deshalb drehten wir etwas früher nach Norden in Richtung Bottrop ab und überflogen Josh’s Heimat. Dort hatten sich die Wolken komplett gelichtet, sodass wir freie Sicht auf Hagen und Bochum hatten.

 

Hinter den Städten nahmen wir Kurs auf Münster und Bremen. Vor uns lag nun eine dunkle schwarze Landschaft, die letzten Strahlen der Sonne hatten wir im Rücken und im Osten begann der Mond groß und rot am Horizont aufzugehen – es war fast Vollmond.
Mit der Zeit wurde es draußen allmählich dunkler und im Cockpit immer gemütlicher. Als wir Bremen überflogen war es bereits 00:15 Uhr, die ersten Sterne wurden sichtbar und in der Ferne tauchten beleuchtete Wolken auf, dort musste Hamburg sein. Tatsächlich waren wie vorhergesagt über Hamburg Wolke n, zum Glück deutlich unter unserer Reiseflughöhe und nicht sehr dicht. Daher konnten wir durch die Fetzen problemlos Flughafen, Bahnhof und natürlich den Hamburger Hafen identifizieren. Unsere nächste Wende war Lübeck, nach etwa 3h hatten wir damit schon fast die Hälfte der Zeit geschafft.

 

Draußen wurde es immer dunkler und im Cockpit immer gemütlicher
Draußen wurde es immer dunkler und im Cockpit immer gemütlicher

 

Hinter Lübeck nahmen wir Kurs auf Berlin. Die angezeigte Flugzeit bis zum VOR Löwenberg waren 54 Minuten in denen sehr wenig passieren sollte…. Unter uns zog schwarz und strukturlos der Osten Deutschlands vorbei. In der Ferne konnten wir zu unserer Linken Schwerin sehen, die einzige größere Stadt auf diesem Teilstück. Der Mond war mittlerweile weit aufgestiegen und strahlte einige sehr hohe Wolken an. Gelegentlich war die Spiegelung desselben in einem der zahlreichen Seen in Mecklenburg-Vorpommern zu sehen.

Kurz vor erreichen des Berliner Luftraums tauchten Wolken genau auf unserer Höhe auf, sodass wir sinken mussten, um einen freien Blick auf Berlin zu bekommen. Mittlerweile lagen wir etwa 6 Minuten vor unserer geplanten Zeit. Das war weit genug, um den Lotsen in Berlin zu fragen, ob wir über der Stadt einen Vollkreis “for sightseeing” machen dürfen. Die Freigabe kam prompt und Josh legte die Arrow um 02:15 Uhr in einen weiten flachen Kreis um den Reichstag. Wir hatten freie Sicht auf das Regierungsviertel und “Downtown Berlin” – der Höhepunkt des ganzen Fluges!

 

Die nächste Wende war der neue Flughafen von Berlin. Von dort ging es in Richtung Leipzig und damit wieder in Richtung Nachhause. In Leipzig war tatsächlich etwas los, bisher waren wir fast alleine im Luftraum und auf den Frequenzen mit den Lotsen gewesen. Doch in Leipzig starteten und landeten zu dieser unsäglichen Uhrzeit (~03:00 Uhr) einige Flugzeuge.

Der Mond war in der dunkelsten Zeit (~01:30 bis ~03:00) der Nacht so hell, dass wir auf den Tragflächen unseren eigenen Schatten sahen. Doch hinter Leipzig fing es schon langsam wieder an zu dämmern und ab Erfurt konnten wir wieder Strukturen in der Landschaft erkennen. Der Thüringer Wald bot uns gegen 03:50 einen traumhaften Anblick, als in den Tälern Nebelschwaden waberten, die geradeso im ersten Licht sichtbar wurden. Nun hatten wir es fast geschafft. Der Beginn der Bürgerlichen Dämmerung war für 04:28 Uhr angegeben, vorher durften wir in Ober-Mörlen nicht landen. Als wir Hungen erreichten, riefen wir auf der Platzfrequenz auf gut Glück mal rein und… bekamen eine freundliche Antwort – morgens um halb 5!

 

Landung im Morgengrauen
Landung im Morgengrauen


Während es auf unserer Höhe schon wieder heller war, war es am Boden noch ziemlich dunkel und der Anflug sowie Landung forderte uns noch einmal richtig, denn das Abschätzen der Höhe ist auf einem nicht befeuerten Platz in der Dämmerung sehr schwierig. Aber auch zum Schluss spielte uns das Wetter noch einmal in die Hände. Die Luft war nämlich, wie den ganzen Flug über total tot, sodass wir sicher und sanft um 04:41 Uhr nach einer Flugzeit von 06:25 & etwa 1.250km Zuhause aufsetzten und von unseren Vereinskameraden begeistert in Empfang genommen wurden.

 

(Sekt-)empfang nach der Landung
(Sekt-)empfang nach der Landung


Am Ende hatte sich unsere ausführliche Vorbereitung und Planung ausgezahlt, wir waren fast auf die Minute genau in der Zeit und hatten noch jede Menge Reservesprit in den Tanks. Vielen Dank für alle Tipps & Tricks und die großartige Unterstützung im Verein, die diesen phantastischen Flug erst möglich gemacht haben.

 

Was für ein Erlebnis! Kaum zu glauben, dass man die meisten Nächte einfach so verschläft….

Teile den Beitrag

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Welch eine coole, witzige Idee und auch ein super schön geschriebener Bericht…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.