Die 300 Liter reichten aus, um alle langsamen Flugzeuge der Gruppe mit Benzin zu versorgen. Die schnelle Piaggio und Messerschmitt nahmen als einzige den Umweg über Gap auf sich, da für sie nicht mehr genug Benzin vorhanden war und sie aufgrund ihrer hohen Reisegeschwindigkeit den Umweg leicht verkraften konnten. Wie gewohnt starteten die Motoren bestens und der Stieglitz brach als erstes Flugzeug auf in die Berge. Nachdem wir einen Überflug in Sisteron zum Abschied zum besten gaben, begannen wir sogleich mit dem Steigflug. Der alte Sternmotor ging auf volle Leistung und der Stieglitz begann gemächlich mit etwa 1 bis 1,5 m/s zu steigen. Die Berge zogen bei gemächlichen 130 km/h an uns vorüber und mit jedem gewonnenen Höhenmeter wurde es kühler. Heute hatten wir zusätzlich zu unseren T-Shirts unsere dünnen Sommerpullover übergezogen und trugen darüber die Fliegerjacken. Die Jeanshose musste als einziges Beinkleid auch ohne lange Unterhose ausreichen schließlich sind wir ja keine Weicheier.
Wir stiegen und stiegen. Schließlich blieben die ersten Wolken unter uns zurück. Ich beginne merklich zu frieren. Die Luft ist ganz klar. Plötzlich sehe ich von weitem den schneebedeckten Mont Blanc. Weit weg und recht klein ist er noch. “Dann sind wir ja bald da.”, dachte ich und blickte kurz auf den Höhenmesser der nicht mal 2000 Meter anzeigte. Wir flogen weiter. Ich konzentrierte mich gleichzeitig auf Luftraumbeobachtung, die Instrumente und meine Kameraausrüstung. Der eigentlich voll geladene Akku der GoPro Kamera zeigte nur noch zwei Balken. Ein Ergebnis des Temperatursturzes durch den Höhengewinn. Ich schaltete die eigens an der Tragflächenverstrebung angebrachte Kamera mittels Fernsteuerung an und auch hier begann der Akku zu schwächeln. Nach einigen Aufnahmen beschloss ich die Tragflächenkamera erst wieder anzumachen, wenn wir wirklich am Mont Blanc sind, in der Hoffnung, dass sie dann noch funktionieren würde. Die GoPro, die ich bei mir trug steckte ich nun zwischen den Filmaufnahmen immer in die Jacke um den Akku warm zu halten. Das funktionierte auch erstaunlich gut: Immer wenn ich eine Aufnahme gemacht hatte war der Akku auf einen Balken zurückgegangen. Nach einiger Zeit der Erwärmung in der Jacke zeigte er wieder optimistische zwei Balken an. (Drei Balken ist der Höchstwert) Der Blick geht wieder zum Mont Blanc. Größer geworden war er und ich dachte: “Dann sind wir ja bald da.” Der Blick auf den Höhenmesser zeigte ernüchternde 2400 Meter an.
Ich beschäftigte mich weiter mit Luftraumbeobachtung, den Instrumenten und Filmen. Vor Kälte zitternd und eine gefühlte Ewigkeit später änderte sich mein Jargon gegenüber dem Berg: “Komm endlich her du blöder Mont Blanc! Mir ist echt kalt!” Der Höhenmesser zeigte inzwischen 2800 Meter und der Berg ließ noch immer auf sich warten. Bei 3100 Meter über dem Meeresspiegel war es dann so weit:
Alles ist ganz ruhig. Keine Luftbewegung. Nur der alte Sternmotor brüllt ohrenbetäubend aus Leibeskräften. Wenn man endlich am Berg angekommen ist, dauert die Freude nur Minuten. Man kann in dieser kurzen Zeit gar nicht alles wahrnehmen. Alles glänzt weiß: Die Gipfel über mir, die Wolken unter mir, die Gletscher und die steilen, schneebedeckten Abhänge. Direkt unter mir in der Tiefe leuchten grüne Wiesen und Wälder. Über mir der strahlend blaue Himmel. Es ist unbeschreiblich schön.
Es bleibt jedoch nur wenig Zeit zum Genuss! Wenn man schon mal da ist muss man auch filmen und fotografieren: Ich schalte die Flächenkamera ferngesteuert über meinen Tablet Rechner ein und starte die Aufnahme. Entsetzt sehe ich nur einen Akku Balken. Mein Pilot beginnt einen Vollkreis. “Nicht jetzt!”, dachte ich mit Blick auf die Akkuanzeige. In diesem Moment verschwindet der letzte Akkubalken und die Anzeige beginnt rot zu blinken. “Bitte! Halte durch!”, flehe ich den Akku an. Nach einer Ewigkeit bei rot blinkender Akkuanzeige geht der Vollkreis zu Ende. Der Berg muss wieder vor der Linse sein und die Kamera läuft noch. Da ich das Aufnahmebild der Kamera in Echtzeit auf meinem Tablet Rechner sehen kann übernehme ich das Steuer und stelle den Vogel so hin, dass man den Berg möglichst gut sieht. Die Aufnahme ist im Kasten und durch den Vollkreis ist es eine der schönsten Aufnahmen geworden. Der Berg scheint während des Kreises gemütlich an uns vorbei zu ziehen. Kaltes Kalkül vom Piloten für eine schöne Aufnahme, welches ich im Moment meiner Akku Not zunächst nicht verstand. Nachdem der Kamerastress beendet ist und ich alle störende Elektronik abschalte wird mir plötzlich klar:
Wir ziehen mit 130 km/h in 3100 Meter Höhe mit einem 78 Jahre alten, offenen Flugzeug und einem ebenso alten Motor am höchsten Berg der Alpen vorbei. Mein rechtes Auge tränt. Sicher nur vom Wind.
Der Abstieg findet in Windeseile statt. So langsam der Stieglitz gestiegen ist, so sehr kann er es nicht erwarten wieder herunter zu kommen. Wir lassen das Gas etwas stehen und sinken mit etwa 180 km/h, damit der Motor nicht zu stark auskühlt. Bei etwa 2000 Metern bringen wir den Stieglitz in Horizontalfluglage und sinken von nun an gemächlicher in die Täler. Es wird schlagartig wärmer. Wir kriechen zwischen den Bergen Richtung Lausanne und erreichen schließlich voller Euphorie den Genfer See. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Flugplatz. Noch zwanzig Minuten Flugzeit bis wir sicher in Lausanne landen.
Wir werden freudig von der Luftfotografie Legende Joe Rimensberger begrüßt, nachdem wir den Motor abgestellt haben. Noch bevor wir aus dem Flugzeug ausgestiegen sind, müssen wir einige Hände schütteln. Die Kameraden wissen, was wir gerade gemacht haben.
Wir verbringen einen ausgelassenen Nachmittag auf dem Flugplatz Lausanne, wo wir selbstverständlich vom Präsident der AMPA begrüßt werden und eine Führung durch die heiligen Hallen erhalten. Flugzeuge stehen da das kann man sich kaum vorstellen. Eine Dewoitine D.27 steht direkt neben einer wunderschön restaurierten Messerschmit Bf 108, Bücker Flugzeuge dürfen nicht fehlen. Eine Cessna 170 und eine Spezialversion der de Havilland Moth mit Gipsy Major Motor, von der nur sehr wenige Exemplare gebaut wurden.
Am frühen Abend unternehmen wir noch einen Foto Flug mit Joe Rimensberger über dem Genfer See und landen danach wieder hungrig in Lausanne. Wir lassen den Abend gemütlich bei gutem Essen mit den Kameraden der AMPA ausklingen und schlafen allesamt im Hotel.